17. Juni 2025, 11:00 Uhr
Die neue Serienmacht auf dem Smart-TV
YouTube hat sich in den letzten Jahren von einer reinen Videoplattform zu einem ernstzunehmenden Player im Seriengeschäft entwickelt. Während klassische Fernsehsender und Streamingdienste mit stagnierenden Zuschauerzahlen und wachsenden Produktionskosten kämpfen, etabliert sich die Creator Economy als dynamischer, wachstumsstarker Gegenpol – und erobert dabei die Wohnzimmer direkt über Smart-TVs. Mit innovativen Formaten, interaktiven Möglichkeiten und professionellen Produktionsbedingungen verändert YouTube das Mediennutzungsverhalten von Millionen Menschen weltweit.
YouTube dominiert den TV-Bildschirm
Längst ist YouTube nicht mehr nur ein Kanal für Kurzvideos und Vlogs. Neue Statistiken belegen, dass YouTube mittlerweile mehr Zuschauerzeit auf dem Fernseher generiert als jede andere Streamingplattform – inklusive Netflix, Disney+ und Amazon Prime. Allein auf Smart-TVs werden täglich über eine Milliarde Stunden YouTube-Inhalte konsumiert. Insbesondere längere, episodische Videos mit einer Laufzeit von 20 Minuten und mehr verzeichnen einen sprunghaften Anstieg in der Watchtime. Diese Entwicklung zeigt klar: YouTube ist zum neuen Standardmedium für serielles Bewegtbild geworden.
Von Creators zu Produzenten: Der Wandel der Akteure
Was früher als Hobby begann, ist heute ein professionelles Geschäftsfeld. Zahlreiche Content Creators agieren inzwischen als Showrunner, Produzenten und Unternehmer. Erfolgsbeispiele wie MrBeast, Dhar Mann oder die britische Gruppe „Sidemen“ haben gezeigt, wie Serienformate auf YouTube Millionenpublika erreichen – mit klar strukturierten Folgen, aufwendiger Produktion und festen Sendeplänen.
Die Plattform selbst unterstützt diesen Wandel aktiv: Durch neue Tools wie das Format „Shows“, das es ermöglicht, Inhalte in Staffeln und Episoden zu gliedern, sowie durch gezielte Monetarisierungsstrategien, wird YouTube zur Heimat moderner Serieninhalte. Auch klassische dramaturgische Elemente wie Cliffhanger, Story-Arcs und Spannungsbögen sind längst Teil dieser neuen Erzählkultur.
Monetarisierung und neue Geschäftsmodelle
YouTube bietet Creators heute eine Vielzahl von Möglichkeiten, ihre Inhalte zu monetarisieren. Dabei steht ihnen eine Kombination aus Werbeeinnahmen, Sponsoring, Merchandise und Mitgliedschaften zur Verfügung. Der Plattformanteil liegt in der Regel bei rund 45 %, während die Creator 55 % der Einnahmen behalten dürfen.
Doch trotz dieser Angebote bleibt die Einkommensverteilung ungleich: Nur ein kleiner Prozentsatz der Creator erzielt tatsächlich ein nennenswertes Einkommen. Schätzungen zufolge verdienen nur etwa 0,1 % aller Creator nennenswert mit YouTube – viele andere nutzen die Plattform daher als Teil eines größeren Einkommensmixes.
Professionalisierung durch digitale Produktionsstudios
Mit dem zunehmenden Erfolg wachsen auch die Ansprüche. Viele Creator haben sich mittlerweile in sogenannten „Digital Media Studios“ organisiert. Diese funktionieren ähnlich wie klassische Fernsehproduktionsfirmen – mit festen Teams für Drehbuch, Kamera, Schnitt, Distribution und Community Management. Multi-Channel-Networks (MCNs) unterstützen dabei nicht nur logistisch, sondern oft auch finanziell und strategisch.
Diese Studios ermöglichen eine höhere Produktionsqualität und Skalierbarkeit der Inhalte, was wiederum zu einer stärkeren Bindung an die Zuschauer führt – vergleichbar mit erfolgreichen Fernsehserien.
Werbemarkt im Umbruch: Marken entdecken Creator-Serien
Auch die Werbewirtschaft hat das Potenzial erkannt. Große Marken wie Unilever oder WPP verlagern ihre Budgets zunehmend in den Bereich Social Video. Bis zu 50 % der Werbemittel fließen bereits heute in Creator-Formate. Der Grund liegt auf der Hand: Der direkte Zugang zu einer loyalen, engagierten Zielgruppe ist effizienter und kostengünstiger als klassische Werbeplätze im Fernsehen.
Zudem bieten Creator einen persönlichen Zugang, Authentizität und die Möglichkeit zur direkten Interaktion – ein Vorteil, den konventionelle Serienanbieter kaum bieten können.
Globale Plattform, lokale Herausforderungen
Obwohl YouTube global operiert, zeigen Studien, dass kulturelle Unterschiede in der Rezeption von Serienformaten bestehen. Während in westlichen Ländern actionreiche Unterhaltung und Reality-Inhalte dominieren, bevorzugen andere Regionen wie Südostasien oder der Nahe Osten Bildungs- oder Familienformate. Erfolgreiche YouTube-Serien müssen daher kulturell angepasst werden, um international bestehen zu können.
Ein weiterer Punkt: Nicht alle Länder verfügen über die nötige Infrastruktur oder politische Freiheit, um YouTube-Produktionen zu fördern – was wiederum Auswirkungen auf die globale Creator-Landschaft hat.
Partizipation und Inklusion: Potenziale und Defizite
Einer der größten Vorteile YouTubes liegt in seiner Partizipationskultur. Zuschauer sind nicht nur Konsumenten, sondern auch Kommentatoren, Co-Produzenten oder sogar Ideengeber. Über Crowdsourcing, Umfragen oder interaktive Features entstehen Formate, die stärker auf das Publikum zugeschnitten sind als klassische TV-Produktionen.
Trotz dieser Offenheit bestehen aber strukturelle Ungleichheiten. Frauen und marginalisierte Gruppen sind im Creator-Ökosystem unterrepräsentiert – sowohl in der Sichtbarkeit als auch bei der Monetarisierung. Studien zeigen, dass algorithmische Strukturen dazu beitragen, dass männlich konnotierte Formate bevorzugt ausgespielt werden.
Neue Genres und Nischen als Wachstumsmotor
Während sich der Großteil der Aufmerksamkeit auf Comedy, Gaming oder Reality konzentriert, entstehen zunehmend neue Genreformate: Web-Dramen, Rom-Coms, Horror-Serien, Science-Fiction und sogar „Edutainment“ – also Bildungsserien mit Unterhaltungswert.
Besonders spannend ist dabei das Wachstum in Nischen-Communities: DIY-Formate, Fandom-Serien oder queere, BIPOC-zentrierte Inhalte zeigen, dass YouTube auch eine Plattform für marginalisierte Geschichten und Zielgruppen ist. Diese Vielfalt trägt zur kulturellen Breite der Plattform bei – ein weiterer Vorteil gegenüber standardisierten TV-Formaten.
Risiken der Plattformdominanz
Trotz aller Vorteile gibt es auch kritische Stimmen. Der YouTube-Algorithmus fungiert als Gatekeeper – und entscheidet letztlich, welche Serienformate Sichtbarkeit erhalten. Dies kann zu einer inhaltlichen Homogenisierung führen, da kontroverse oder algorithmisch riskante Inhalte schlechter platziert werden.
Hinzu kommt die Unsicherheit vieler Creator hinsichtlich plötzlicher Richtlinienänderungen, Werbeeinbrüche oder Sperrungen. Die wirtschaftliche Abhängigkeit von der Plattform bleibt ein Risiko, das auch bei wachsender Professionalisierung nicht vollständig kontrollierbar ist.
Bildung als unterschätzter Bereich
Ein besonders dynamisches Feld ist der Bildungsbereich. Hochschulen, Lehrende und Edutainment-Creator nutzen YouTube zunehmend für formatierte Lerninhalte. Videoserien mit klaren Lernzielen, Episodenstruktur und didaktischem Aufbau verzeichnen hohe Zugriffszahlen – und wirken sich nachweislich positiv auf Motivation und Lernerfolg aus.
Diese Entwicklung zeigt, dass YouTube-Serien nicht nur unterhalten, sondern auch bilden können – ein Aspekt, der von klassischen Medienformaten bislang kaum bedient wird.
Der neue Serienmarkt ist dezentral – und wächst rasant
YouTube entwickelt sich mit rasanter Geschwindigkeit zur zentralen Plattform für moderne Serienformate. Getrieben von einer neuen Generation an Creatorn, unterstützt durch algorithmische Infrastruktur und flankiert von Werbemitteln großer Marken, entsteht ein dezentraler, demokratischer und oft experimenteller Serienmarkt.
Gleichzeitig bleiben Herausforderungen: Monetarisierung, kulturelle Diversität, algorithmische Machtstrukturen und die Frage nach langfristiger Stabilität müssen weiter kritisch begleitet werden. Dennoch ist eines klar: YouTube ist längst nicht mehr nur Video – es ist das Fernsehen der nächsten Generation.

Jens Müller ist ein Hobby Historiker und engagierter Forscher, der sich auf Kulturgeschichte spezialisiert hat. Mit einem scharfen Blick für historische Zusammenhänge und gesellschaftliche Entwicklungen publiziert er regelmäßig fundierte Artikel. Als Redakteur schreibt er für das Online-Magazin Stefanjacob.de.