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Berlin Biennale 2025: Kunst als urbane Bewegung und politischer Impuls

Berlin
Die 13. Berlin Biennale für zeitgenössische Kunst öffnet vom 14. Juni bis 14. September 2025 erneut ihre Tore – mit einem konzeptionellen Fokus, der weit über klassische Ausstellungspraxis hinausgeht. Unter dem Titel „passing the fugitive on“ stellt die Biennale in diesem Jahr das Thema der „Fugitivität“ ins Zentrum: Flüchtigkeit, Widerstand, informelle Wissensweitergabe und Humor als Strategie gegen Unterdrückung prägen eine Biennale, die Berlin nicht nur als Ort, sondern als Mitakteur versteht.

Vier Spielorte, eine Idee: Die Stadt als Bühne

Die Biennale verteilt sich 2025 auf vier Ausstellungsorte in Berlin:

  • KW Institute for Contemporary Art
  • Hamburger Bahnhof – Nationalgalerie der Gegenwart
  • Sophiensæle
  • Ein ehemaliges Gerichtsgebäude in Berlin-Moabit

Der Einbezug des alten Gerichtsgebäudes verleiht der Biennale eine neue räumliche Tiefe. Der bewusst gewählte Kontrast zwischen klassischen Ausstellungshäusern und einem symbolträchtigen Ort der Rechtsprechung spiegelt den inhaltlichen Anspruch wider: Kunst als Widerstand gegen autoritäre Strukturen.

Die Kuratorin Zasha Colah: Zwischen Subversion und Gemeinschaft

Die diesjährige Kuratorin Zasha Colah bringt eine einzigartige Perspektive ein. Geboren in Zambia, aufgewachsen in Indien und heute in Berlin und Turin tätig, versteht Colah Kunst als kollektive Handlung. Als Mitbegründerin der Clark House Initiative in Mumbai entwickelte sie ein kuratorisches Denken, das auf Gemeinschaft, Selbstermächtigung und Gegenmacht basiert.

Ihr thematischer Fokus auf „Fugitivität“ ist sowohl politisch als auch poetisch aufgeladen. Colah bezieht sich dabei auf globale Erfahrungen – von gewaltsamen Regimen in Myanmar und Indien bis hin zur Militarisierung von Städten weltweit – und verortet ihre kuratorische Haltung bewusst im transnationalen Diskurs.

„Foxing“: Der urbane Fuchs als Symbolfigur

Ein zentrales Bild ihrer Konzeption ist der „urban fox“, der in Berlin immer wieder durch Hinterhöfe und Baustellen streift. Für Colah symbolisiert der Fuchs eine subtile Art des Widerstands: wachsam, beweglich, nie ganz greifbar. Diese Idee des „foxing“ zieht sich metaphorisch durch die gesamte Biennale – als Einladung an Besucherinnen und Besucher, selbst in diese Rolle zu schlüpfen.

Performativ, politisch, poetisch: Das Programm 2025

Die 13. Ausgabe präsentiert über 60 internationale Künstlerinnen und Künstler mit mehr als 170 Werken. Neben klassischen Formaten wie Installationen und Fotografie rücken 2025 vor allem:

  • Spoken Word Performances
  • Stand-up-Formate
  • Ritualisierte Spaziergänge
  • Community-Workshops
  • Tribunale und Kompliz*innenkonferenzen

Insbesondere das Stilmittel des Humors spielt eine zentrale Rolle: „Restorative laughter“ – also wiederherstellendes Lachen – soll dabei helfen, Traumata sichtbar zu machen und kollektive Heilung anzustoßen. Dabei handelt es sich nicht um Komik im klassischen Sinne, sondern um eine widerständige Haltung, die Ohnmacht in Handlungsmacht transformiert.

Flüchtige Kunst als Gegenstrategie zu festen Strukturen

„Fugitivität“ bedeutet hier nicht nur wörtlich das Flüchtige, sondern steht für ein ganzes Set an Praktiken, die sich der Kontrolle, Vereinnahmung oder Verwertung entziehen. Kunst wird dabei nicht als statisches Objekt, sondern als Prozess gedacht – und oft bleibt ihre Spur nur im Moment sichtbar.

„Wir wollen, dass Besucherinnen und Besucher selbst zu Fugitiven werden – dass sie Geschichten weitertragen, ohne dass es ein fertiges Narrativ gibt.“ – Zasha Colah

Warum viele Künstler*innen nicht genannt werden

Ein weiteres bemerkenswertes Merkmal: Viele Künstler*innen bleiben im Vorfeld der Biennale anonym. Damit reagiert die Biennale auf politische Repressionen, unter denen einige Kunstschaffende in ihren Herkunftsländern leiden. Die Illegibilität wird dabei nicht als Mangel, sondern als Schutzmechanismus und kuratorische Entscheidung verstanden. Der Fokus liegt auf der Erfahrung der Kunst, nicht auf dem Namen der Urheber.

Reaktionen und Kritik: Zwischen Aktivismus und Ästhetik

Wie schon frühere Biennalen, etwa die Ausgabe von 2022, ist auch 2025 nicht frei von Kritik. Bereits jetzt wird diskutiert, ob eine starke Politisierung der Kunst nicht ästhetische Prozesse überlagert. Kritiker aus konservativeren Lagern werfen der Biennale eine Tendenz zur „Moralinsäure“ vor. Andere begrüßen die klare Haltung gegenüber globaler Ungleichheit, Repression und Umweltkrisen.

Fakt ist: Die Berlin Biennale positioniert sich auch 2025 klar. Wer hier ästhetisches Wohlfühlambiente erwartet, wird enttäuscht. Stattdessen fordert die Ausstellung aktiv zur Auseinandersetzung auf – mit Form, Inhalt, Gesellschaft und sich selbst.

Gesellschaftliche Wirkung und Besucherzahlen

Die Berlin Biennale zählt zu den wichtigsten Formaten für zeitgenössische Kunst in Europa. 2022 kamen über 140.000 Besucher*innen. Für 2025 erwarten die Veranstalter ähnlich hohe Zahlen, zumal die Stadt Berlin selbst im Jahr 2024 mit mehr als 12,7 Millionen Gästen und über 30 Millionen Übernachtungen einen Tourismusrekord verzeichnete.

Besondere Formate wie der „Open House“-Auftakt vom 13. bis 15. Juni mit freiem Eintritt, Konzerten und Familienprogrammen sollen ein diverses Publikum erreichen – von der Kunstszene über Berliner Schulklassen bis zu internationalen Touristen.

Was die Berlin Biennale 2025 besonders macht

Zusammenfassend lässt sich sagen: Die 13. Berlin Biennale bricht mit Erwartungen. Sie ist politisch ohne platt zu agitieren, poetisch ohne sich im Ästhetizismus zu verlieren. Ihr Konzept lebt von temporären Begegnungen, performativen Aktionen und der bewussten Störung von Routinen.

Der neue Spielort – ein ehemaliges Gerichtsgebäude – steht symbolisch für die Öffnung geschlossener Räume. Die Rolle des Fuchses als kultureller Trickster verbindet urbane Mythologie mit widerständiger Praxis. Und nicht zuletzt bringt Zasha Colah als Kuratorin eine globale Perspektive ein, die Berlin nicht nur als Zentrum, sondern auch als Resonanzraum internationaler Krisen begreift.

Tabellarische Übersicht: Kerndaten zur Berlin Biennale 2025

AspektDetails
Titelpassing the fugitive on
Zeitraum14. Juni – 14. September 2025
KuratorinZasha Colah
SpielorteKW Institute, Hamburger Bahnhof, Sophiensæle, Gericht Moabit
SchwerpunktFugitivität, Widerstand, Humor, Gemeinschaft
Erwartete Besucherzahlca. 140.000
BegleitprogrammPerformances, Walks, Lesungen, Comedy, Tribunale

Die Kunst, sich zu entziehen

In einer Zeit, in der vieles festgefahren wirkt – politisch, gesellschaftlich, ästhetisch – bietet die Berlin Biennale 2025 ein Gegenmodell. Sie zeigt, wie Kunst sich entziehen, verflüchtigen, unterwandern kann. Nicht, um sich zu verstecken, sondern um Wirkung dort zu entfalten, wo sie am wenigsten erwartet wird. So erobert Kunst nicht nur die Stadt, sondern auch unsere Vorstellungskraft.

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Jens Müller

Jens Müller ist ein Hobby Historiker und engagierter Forscher, der sich auf Kulturgeschichte spezialisiert hat. Mit einem scharfen Blick für historische Zusammenhänge und gesellschaftliche Entwicklungen publiziert er regelmäßig fundierte Artikel. Als Redakteur schreibt er für das Online-Magazin Stefanjacob.de.

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