Die Lesekompetenz deutscher Schülerinnen und Schüler befindet sich in einer kritischen Phase. Aktuelle Bildungsstudien zeigen einen signifikanten Rückgang grundlegender Leseleistungen, insbesondere bei Kindern aus sozial benachteiligten Haushalten. Angesichts dieser Entwicklung rücken Bund, Länder und Bildungseinrichtungen verstärkt Leseförderprogramme in den Mittelpunkt ihrer Strategien. Im Jahr 2025 zeichnet sich ein Wandel ab: Neue Konzepte, digitale Innovationen und gesellschaftliches Engagement setzen neue Impulse für eine nachhaltige Leseförderung in der Schule.
Lesekompetenz in der Krise: Aktueller Stand
Die Ergebnisse der PISA-Studie 2022 und der IGLU-Studie 2021 geben Anlass zur Sorge: Rund ein Viertel der Viertklässler in Deutschland erreicht nicht die international definierten Mindeststandards im Lesen. Bei den 15-Jährigen verfehlen sogar 25 Prozent die Grundkompetenz. Diese Entwicklung spiegelt nicht nur ein Bildungsproblem wider, sondern wirkt sich langfristig auf Chancengleichheit und gesellschaftliche Teilhabe aus.
Die Ursachen sind vielfältig: unzureichender Leseunterricht, fehlende Lesekultur zu Hause, personelle Engpässe an Schulen und eine zunehmende mediale Ablenkung durch digitale Reizüberflutung. Die Herausforderungen sind struktureller Natur – doch ebenso vielfältig sind mittlerweile die Lösungsansätze, die 2025 zur Anwendung kommen.
Strukturelle Reform: Das Leseband als tägliches Ritual
Eines der sichtbarsten Beispiele für strukturierte Leseförderung ist das sogenannte „Leseband“. Hierbei wird eine tägliche Lesezeit von 15 bis 20 Minuten fest im Stundenplan verankert – unabhängig vom Fach. Diese Phase soll das Lesen zu einem selbstverständlichen Bestandteil des Schulalltags machen.
Besonders erfolgreich zeigt sich das Modell in Hamburg, wo das Leseband mittlerweile an vielen Grundschulen zur Routine gehört. Auch andere Bundesländer wie das Saarland und Bremen haben die flächendeckende Einführung ab dem Schuljahr 2025/26 angekündigt. Dabei kommen didaktische Methoden wie Tandemlesen, chorisches Lesen oder Hörbuchlesen zum Einsatz. Erste Evaluierungen deuten auf eine spürbare Verbesserung der Lesemotivation und -geschwindigkeit hin.
Gezielte Unterstützung durch High-Impact-Tutoring
Ein weiteres vielversprechendes Instrument ist das sogenannte High-Impact-Tutoring (HIT). Dabei handelt es sich um eine intensive Lernbegleitung in Kleingruppen von zwei bis drei Schülern. Diese Maßnahme basiert auf kontinuierlicher Diagnostik, um individuell passende Lesestrategien zu entwickeln.
HIT richtet sich besonders an Schülerinnen und Schüler mit spezifischen Leseschwierigkeiten. Studien belegen eine deutlich höhere Wirksamkeit im Vergleich zu herkömmlichen Förderprogrammen. Schulen, die auf HIT setzen, berichten von einer Verbesserung der Leseflüssigkeit, des Textverständnisses und einer stärkeren Selbstwirksamkeit bei leseschwachen Kindern.
Digitalisierung als Chance: KI und gamifiziertes Lesen
Digitale Werkzeuge in der Leseförderung
Digitale Technologien spielen 2025 eine zunehmend zentrale Rolle in der schulischen Leseförderung. Besonders die Plattform „LaLeTu“ zeigt, wie Künstliche Intelligenz das individuelle Lesenlernen unterstützen kann. Das System analysiert Lesefortschritte, passt Textschwierigkeiten dynamisch an und liefert automatisierte Rückmeldungen an Lehrkräfte.
Ein weiteres Beispiel für digital unterstütztes Lesen ist „Antolin“. Diese Plattform motiviert Kinder durch ein Punktesystem, bei dem sie Quizfragen zu gelesenen Büchern beantworten. Lehrerinnen und Lehrer erhalten eine Übersicht über die Leseaktivitäten ihrer Klassen und können gezielt fördern.
Augmented-Reality-Projekte wie Metabook
Ein innovativer Sonderweg ist das Projekt „Metabook“, bei dem Geschichten mithilfe von Augmented Reality erzählt werden. Kinder tauchen in interaktive Welten ein, die sie durch digitale Avatare, virtuelle Elemente und haptische Komponenten aktiv mitgestalten können. Das Ziel: das Lesen als multisensorisches Erlebnis zu etablieren, das auch technologisch geprägte Schülergruppen anspricht.
Gesellschaftliches Engagement: Ehrenamtliche Initiativen
Ein zentrales Element der Leseförderung 2025 ist das zivilgesellschaftliche Engagement. Organisationen wie „Mentor – Die Leselernhelfer“ arbeiten mit Tausenden ehrenamtlichen Lesepaten zusammen, die Kindern einmal wöchentlich beim Lesen helfen. Diese 1:1-Betreuung zeigt besonders bei leseschwachen Schülern eine große Wirkung – nicht nur im Hinblick auf die Lesefähigkeit, sondern auch auf das Selbstwertgefühl.
Weitere Initiativen wie die „Lesetüte“ oder der jährliche Aktionstag „Ich schenk dir eine Geschichte“ fördern die Lesekultur schon ab der ersten Klasse. Über 150.000 Kinder erhalten im Rahmen dieser Aktionen jährlich Bücher, begleitet von didaktischem Material für den Unterricht.
Politische Programme und langfristige Strategien
Das Startchancen-Programm
Das Startchancen-Programm ist das größte bildungspolitische Förderpaket in der Geschichte Deutschlands. Es sieht über zehn Jahre hinweg Investitionen von 20 Milliarden Euro vor – insbesondere in Schulen mit hohem Sozialindex. Ziel ist es, die Zahl der Schülerinnen und Schüler, die die Mindeststandards in Lesen, Schreiben und Rechnen verfehlen, deutlich zu senken.
Gefördert werden unter anderem Schulsozialarbeit, moderne Lernumgebungen, differenzierte Sprachförderung und die Integration von Lesebändern. Das Programm verfolgt dabei einen integrativen Ansatz, der auch kulturelle Teilhabe und die Einbindung der Elternhäuser mitdenkt.
BiSS-Transfer: Von der Forschung in die Praxis
Ein weiterer Baustein in der nationalen Strategie ist die Initiative „BiSS-Transfer“. Ziel dieses Programms ist es, wissenschaftlich erprobte Konzepte der Sprach- und Leseförderung systematisch in den Alltag von Schulen und Kitas zu überführen. Über 4.200 Bildungseinrichtungen sind daran beteiligt. Der Fokus liegt auf der Kombination von Diagnostik, passgenauer Materialentwicklung und Lehrerfortbildungen.
Internationale Impulse: Bildungstrends aus Europa
Auch auf internationaler Ebene finden sich Ansätze, die in Deutschland zunehmend Beachtung finden. In skandinavischen Ländern ist individualisiertes Lesen bereits fest im Schulcurriculum verankert. Eine Studie aus Finnland belegt, dass Schüler, die regelmäßig personalisierte Lektürehilfen erhalten, signifikant bessere Textverständniswerte erreichen.
Europäische Projekte wie GAIA setzen zudem auf die Integration von Gamification und Internet-of-Things-Technologien im Unterricht. Sensorische Leseobjekte, vernetzte Buchregale und interaktive Whiteboards ermöglichen ein immersives Leseerlebnis, das über das klassische Buch hinausgeht.
Book Slam und kreative Wettbewerbe
Ein nicht zu unterschätzender Faktor für Lesemotivation sind kreative Wettbewerbsformate. Der sogenannte „Book Slam“ funktioniert nach dem Prinzip des Poetry Slam. Schülerinnen und Schüler präsentieren in wenigen Minuten ein selbst gewähltes Buch – unterhaltsam, spannend oder humorvoll. Eine Jury aus Mitschülern bewertet die Darbietung. Dieser spielerische Ansatz steigert nicht nur das Interesse an Literatur, sondern fördert auch Präsentationskompetenzen und Sprachgewandtheit.
Soziale Herkunft als Risikofaktor: Eine ungelöste Herausforderung
Trotz aller Initiativen bleibt ein Problem bestehen: Der Bildungserfolg ist in Deutschland noch immer stark an die soziale Herkunft gekoppelt. Kinder aus bildungsfernen Familien haben signifikant schlechtere Chancen, ihre Lesekompetenz altersgerecht zu entwickeln. Hier zeigt sich, dass Fördermaßnahmen oft an strukturelle Grenzen stoßen – etwa wenn die familiäre Unterstützung fehlt oder Schulen in benachteiligten Regionen personell überlastet sind.
Fazit: Auf dem Weg zu einer neuen Lesekultur
Die schulische Leseförderung in Deutschland erfährt im Jahr 2025 eine umfassende Transformation. Die Kombination aus struktureller Verankerung (z. B. Leseband), individueller Begleitung (z. B. HIT, Lesementoren), digitalen Innovationen (z. B. LaLeTu, Metabook) und politischer Unterstützung (z. B. Startchancen-Programm) bildet ein vielversprechendes Fundament.
Doch die Herausforderungen bleiben groß. Nur wenn Bildungspolitik, Gesellschaft, Technologie und pädagogische Praxis an einem Strang ziehen, kann eine nachhaltige Lesekultur entstehen, die allen Kindern – unabhängig von Herkunft und Umfeld – den Zugang zur Welt der Bücher ermöglicht.
Stichpunkte zur Leseförderung 2025:
- Tägliches Leseband an Grundschulen mit festen Lesezeiten
- High-Impact-Tutoring für individuelle Förderung
- Digitale Plattformen wie LaLeTu und Antolin im Einsatz
- AR-Projekte wie Metabook schaffen neue Leseerlebnisse
- Mentor-Programme mit ehrenamtlicher Unterstützung
- Großprojekte wie Startchancen-Programm und BiSS-Transfer
- Internationale Impulse aus Finnland und dem GAIA-Projekt
- Kreative Formate wie Book Slam steigern Lesemotivation
Die Zukunft des Lesens beginnt heute – mit neuen Ideen, mehr Mut zur Innovation und dem festen Willen, kein Kind beim Lesen zurückzulassen.

Jens Müller ist ein Hobby Historiker und engagierter Forscher, der sich auf Kulturgeschichte spezialisiert hat. Mit einem scharfen Blick für historische Zusammenhänge und gesellschaftliche Entwicklungen publiziert er regelmäßig fundierte Artikel. Als Redakteur schreibt er für das Online-Magazin Stefanjacob.de.