Die Dokumentation „Eternal You – Vom Ende der Endlichkeit“ von Hans Block und Moritz Riesewieck beleuchtet die wachsende Industrie der KI-generierten Avatare Verstorbener.
Diese Technologie ermöglicht es Hinterbliebenen, mit digitalen Nachbildungen ihrer verstorbenen Angehörigen zu kommunizieren, basierend auf deren digitalen Hinterlassenschaften.
Die Filmemacher begleiten Start-ups, die solche Avatare entwickeln, und zeigen, wie Trauernde diese nutzen, um Abschied zu nehmen oder offene Gespräche zu führen. Einige Nutzer berichten von Trost, andere erleben jedoch verstörende Momente, wenn die KI unerwartete oder unpassende Antworten gibt.
Der Film wirft ethische Fragen auf: Wer trägt die Verantwortung für die psychologischen Auswirkungen dieser Technologie? Wie beeinflusst sie den Trauerprozess? Und inwieweit wird der Tod kommerzialisiert? Die Dokumentation zeigt, dass die Sehnsucht nach Unsterblichkeit tief in der menschlichen Natur verankert ist, warnt jedoch vor den möglichen Konsequenzen, wenn Technologie diese Sehnsucht auszunutzen beginnt.
„Eternal You“ wurde auf mehreren internationalen Filmfestivals gezeigt und ist derzeit in der ARD Mediathek verfügbar. Der Film regt dazu an, über den Umgang mit Tod und Trauer im digitalen Zeitalter nachzudenken und die Grenzen technologischer Entwicklungen kritisch zu hinterfragen.
Digitales Weiterleben: Zwischen Trost und Tabubruch
Die Vorstellung, mit einem geliebten Menschen auch nach dessen Tod sprechen zu können, ist ebenso faszinierend wie beunruhigend. In „Eternal You“ wird deutlich, wie unterschiedlich Menschen auf diese Möglichkeit reagieren. Während einige Trost empfinden und das Gefühl haben, ein letztes Gespräch führen zu können, empfinden andere eine tiefe Verstörung über die Nachahmung der Toten. Diese Spannbreite emotionaler Reaktionen zeigt, dass die technische Reproduktion menschlicher Identität nicht nur technische, sondern vor allem psychologische und kulturelle Grenzen berührt.
Der Film dokumentiert Fälle, in denen die Künstliche Intelligenz mit Text- und Sprachdaten Verstorbener arbeitet und daraus interaktive Avatare erstellt. Diese imitieren Stimme, Mimik, Gestik und sogar Verhaltensmuster. Doch was, wenn die KI plötzlich Aussagen trifft, die dem Verstorbenen zu Lebzeiten nie zugetraut worden wären? Solche Situationen werfen Fragen nach Authentizität, Wahrhaftigkeit und dem moralischen Umgang mit digitalem Erbe auf. „Es ist, als würde man mit einem Echo sprechen, das immer tiefer in die eigene Psyche eindringt“, zitiert die Doku eine Nutzerin.
Diese neue Form der digitalen Trauerverarbeitung bewegt sich in einem Spannungsfeld zwischen Technikgläubigkeit und spiritueller Suche. Sie offenbart zugleich ein gesellschaftliches Bedürfnis: Den Tod zu kontrollieren – zumindest digital. Doch genau das stellt unsere bisherige Vorstellung vom Abschiednehmen auf eine harte Probe.
Die Ökonomisierung der Trauer: Wenn Start-ups mit dem Tod Geschäfte machen
Ein zentrales Thema der Dokumentation ist die Kommerzialisierung der Trauerarbeit. Start-ups weltweit erkennen das ökonomische Potenzial digitaler Unsterblichkeit. Dienstleistungen wie digitale Grabreden, KI-generierte Videos mit Verstorbenen oder sogar fortlaufende Chats mit Toten werden zunehmend als Abo-Modelle angeboten. Dabei geht es nicht mehr nur um Erinnerung, sondern um die Schaffung neuer Produkte im emotionalen Ausnahmezustand. Hinter der technologischen Innovation steht ein milliardenschwerer Markt, der auf Emotionen, Verlust und Sehnsucht basiert.
Der Film macht deutlich, dass sich hier eine Industrie etabliert, deren ethische Standards oft noch nicht definiert sind. Was passiert, wenn Unternehmen mit hochsensiblen Daten von Verstorbenen operieren? Wer darf entscheiden, welche Aussagen ein KI-Avatar treffen darf? Und wie lassen sich Missbrauch oder Manipulation verhindern?
Die Doku liefert Einblicke in Geschäftsmodelle, die auf Langzeitinteraktionen setzen. Besonders problematisch erscheint dabei die Verwischung von Realität und Simulation. Wenn Menschen regelmäßig mit einem KI-Double sprechen, das einem geliebten Menschen nachempfunden ist, kann das die Verarbeitung des Verlusts verzögern oder gar verhindern. Hier stellt sich die Frage: Ist Trost durch Täuschung moralisch vertretbar – oder bloß ein modernes Geschäftsmodell auf Kosten der Trauernden?
Eine neue Trauerkultur? Gesellschaftliche und religiöse Perspektiven
„Eternal You“ öffnet auch die Debatte über die Veränderung kollektiver Rituale und religiöser Vorstellungen vom Tod. In vielen Kulturen ist der Tod ein unumstößliches Faktum – das Leben nach dem Tod wird metaphysisch, nicht technologisch gedacht. Die Möglichkeit, Verstorbene digital zu simulieren, stellt diese Vorstellungen infrage. Religiöse Vertreter äußern im Film teils scharfe Kritik: Die Technologie sei ein Eingriff in die göttliche Ordnung, ein Versuch, Schöpfung zu imitieren.
Gleichzeitig zeigt der Film, dass vor allem jüngere Generationen weniger an traditionelle Trauerformen gebunden sind. Die Idee, mit Hilfe von Technologie Nähe zu verstorbenen Menschen zu wahren, wird teilweise als Fortschritt empfunden – als Möglichkeit, Verlust auf eine neue Art zu verarbeiten. Es entsteht eine neue Art der Erinnerungskultur, die nicht auf Stille und Rückzug, sondern auf Interaktion und Fortführung setzt.
Diese Entwicklung wirft tiefgreifende Fragen für unsere Gesellschaft auf: Wie definieren wir Tod in einer Zeit, in der künstliche Intelligenz Leben simulieren kann? Welche Rolle spielen dabei kulturelle Prägungen, und wie können wir als Gesellschaft lernen, mit der digitalen Unendlichkeit verantwortungsvoll umzugehen?
Die Dokumentation zeigt auf eindrückliche Weise: Die Grenze zwischen Leben und Tod ist dabei, sich neu zu definieren. Und es liegt an uns, mit dieser Entwicklung achtsam, ethisch und menschlich umzugehen.

Jens Müller ist ein Hobby Historiker und engagierter Forscher, der sich auf Kulturgeschichte spezialisiert hat. Mit einem scharfen Blick für historische Zusammenhänge und gesellschaftliche Entwicklungen publiziert er regelmäßig fundierte Artikel. Als Redakteur schreibt er für das Online-Magazin Stefanjacob.de.