Hà Giang, 22. Mai 2025, 10:00 Uhr (CCS)
Die nordvietnamesische Provinz Hà Giang war am 22. Mai 2025 Gastgeber eines bedeutenden kulturellen Ereignisses: Die 11. Konferenz des Exekutivkomitees der Provinzvereinigung für Literatur und Kunst versammelte Vertreterinnen und Vertreter aus Politik, Kultur, Wissenschaft und Zivilgesellschaft, um Bilanz zu ziehen und die Weichen für die kulturelle Zukunft der Region zu stellen. Im Mittelpunkt standen dabei die Evaluation der bisherigen Arbeit, die Vorbereitung des kommenden Verbandstages sowie das 50-jährige Jubiläum der literarisch-künstlerischen Entwicklung seit der nationalen Wiedervereinigung Vietnams im Jahr 1975.
Jubiläum als Ankerpunkt: 50 Jahre Literatur und Kunst in Hà Giang
Das diesjährige Treffen war in mehrfacher Hinsicht besonders. Einerseits markierte es die strategische Halbzeitbewertung der Jahresarbeit 2025, andererseits bildete das Jubiläum „50 Jahre Literatur und Kunst nach der Wiedervereinigung“ einen symbolischen wie inhaltlichen Rahmen für Rückblicke, Reflexionen und Ausblicke. Vom 22. April bis zum 31. Mai 2025 zeigte eine umfassende Ausstellung die kulturellen Errungenschaften der vergangenen fünf Jahrzehnte. Vertreten waren dabei zahlreiche Kunstformen – von Malerei und Skulptur über Fotografie bis hin zur Literatur.
Begleitend fand ein Fachseminar statt, bei dem Persönlichkeiten aus Wissenschaft und Kulturpraxis die Herausforderungen der kulturellen Arbeit diskutierten. Zentrale Themen waren unter anderem:
- die Bewahrung kultureller Identität in Zeiten globaler und digitaler Umbrüche
- die Stärkung regionaler Ausdrucksformen
- die Professionalisierung von Künstlerinnen und Künstlern
- der intergenerationelle Dialog im Kulturbereich
Ein Zitat aus dem Eröffnungsvortrag des Interims-Vorsitzenden Ho Viet Son bringt die Stimmung auf den Punkt:
„Kunst ist nicht Dekoration der Gesellschaft, sondern Ausdruck ihrer Seele.“
Strukturelle Neuausrichtung und personelle Veränderungen
Ein weiterer Schwerpunkt der Konferenz lag auf organisatorischen Veränderungen innerhalb der Provinzvereinigung. Besonders hervorzuheben ist die Fusion der Zweigstellen Hoang Su Phi und Xin Man zu einer gemeinsamen Literatur- und Kunstvereinigung. Dieser Schritt wurde als Signal für mehr Effizienz, bessere Ressourcenbündelung und stärkere Präsenz in entlegenen Regionen gewertet.
Im personellen Bereich kam es zu einer Zäsur: Der langjährige Vorsitzende Lam Tien Manh wurde offiziell in den Ruhestand verabschiedet. Seine Nachfolge wird voraussichtlich beim 7. Provinzkongress bestimmt. Übergangsweise übernimmt sein bisheriger Stellvertreter Ho Viet Son die Leitung der Vereinigung. Die Konferenz sprach ihm einstimmig das Vertrauen für diese Phase der Neuaufstellung aus.
Vorbereitung auf den 7. Provinzkongress (2025–2030)
Im Zentrum der strategischen Diskussionen stand die Vorbereitung des 7. Provinzkongresses, der den Zeitraum 2025 bis 2030 gestalten soll. Die Konferenz definierte hierzu mehrere operative Leitlinien:
- Stärkung der kulturellen Bildung an Schulen und Universitäten
- Intensivierung interkultureller Zusammenarbeit in der Region
- Aufbau eines digitalen Archivs regionaler Literatur und Kunst
- Förderung von Nachwuchstalenten durch Wettbewerbe und Stipendien
- Kooperation mit touristischen Einrichtungen zur Sichtbarmachung kultureller Ressourcen
Die strategischen Ziele sollen durch eine verstärkte Zusammenarbeit mit zivilgesellschaftlichen Organisationen sowie durch staatlich unterstützte Programme wie das „Nationale Zielprogramm 1719“ flankiert werden. Letzteres hat zum Ziel, kulturelle Ausdrucksformen ethnischer Minderheiten zu bewahren und in moderne Kommunikationsformen zu übersetzen.
Hà Giang: Eine Provinz im kulturellen Aufbruch
Hà Giang gehört zu den kulturell vielfältigsten Regionen Vietnams. Mit über 20 anerkannten ethnischen Gruppen ist die Provinz ein Mikrokosmos kultureller Traditionen, Sprachen und Ausdrucksformen. Diese Vielfalt steht jedoch unter zunehmendem Druck: Verstädterung, Migration, Tourismus und der Einfluss globaler Medien verändern die kulturelle Landschaft spürbar.
Gerade deshalb sah die Konferenz ihre Aufgabe nicht nur in der Administration bestehender Strukturen, sondern in der bewussten Weiterentwicklung kultureller Identität. Die Kunst soll laut mehreren Sprecherinnen und Sprechern nicht nur retrospektiv dokumentieren, sondern proaktiv zur Gestaltung gesellschaftlicher Prozesse beitragen.
Kulturelle Leitlinien für die nächsten Jahre
Im Konferenzbeschluss wurden sieben Leitlinien für die künftige Arbeit verankert:
Leitlinie | Inhalt |
---|---|
1. Zugang | Erweiterung kultureller Angebote auch in ländlichen Regionen |
2. Qualität | Professionalisierung von Kunstproduktion und -vermittlung |
3. Nachwuchs | Frühe Förderung kreativer Talente durch Bildungskooperationen |
4. Identität | Stärkung regionaler Ausdrucksformen als kulturelles Kapital |
5. Partizipation | Einbindung lokaler Gemeinschaften in Projektgestaltung |
6. Innovation | Nutzung digitaler Medien zur Sichtbarmachung lokaler Kunst |
7. Nachhaltigkeit | Langfristige Finanzierung und strukturelle Absicherung |
Digitale Herausforderungen und neue Chancen
Ein wiederkehrendes Thema während der Konferenz war die digitale Transformation des Kulturbereichs. In mehreren Arbeitsgruppen wurde diskutiert, wie neue Technologien – insbesondere KI, Virtual Reality und soziale Medien – genutzt werden können, um jüngere Zielgruppen zu erreichen und traditionelle Inhalte neu zu inszenieren.
Zugleich wurden Risiken thematisiert: Urheberrechtsfragen, der Verlust analoger Kulturtechniken und der „Click-Zwang“ im Online-Marketing wurden kritisch beleuchtet. Die Konferenz einigte sich auf ein Pilotprojekt zur Entwicklung eines digitalen Literaturarchivs, das in mehreren Sprachen (darunter Hmong, Tay, Vietnamesisch und Englisch) zugänglich gemacht werden soll.
Nationale Einbettung: Konferenz in Hanoi mit überregionaler Strahlkraft
Parallel zur Konferenz in Hà Giang fand am 25. April 2025 eine landesweite wissenschaftliche Tagung in Hanoi statt. Unter dem Titel „50 Jahre vietnamesische Literatur und Kunst im Dienst der Nation“ wurde die Rolle von Kunst und Literatur in der gesellschaftlichen Transformation Vietnams diskutiert. Auch hier war Hà Giang mehrfach Thema – als Beispiel für dezentrale kulturelle Entwicklungspolitik und für erfolgreiche Integrationsmodelle in ethnisch heterogenen Gesellschaften.
Fazit: Kultur als Zukunftsinvestition
Die 11. Konferenz des Exekutivkomitees der Provinzvereinigung für Literatur und Kunst in Hà Giang hat sich als inhaltlich dichte und zukunftsorientierte Veranstaltung erwiesen. Sie war nicht nur ein Rückblick auf fünf Jahrzehnte kultureller Aufbauarbeit, sondern auch ein Ausblick auf die kulturellen Herausforderungen einer sich wandelnden Gesellschaft.
Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer zeigten sich entschlossen, Literatur und Kunst weiterhin als gesellschaftliche Kraft ernst zu nehmen – nicht nur als Spiegel, sondern als Werkzeug zur Mitgestaltung einer offenen, solidarischen und diversen Gesellschaft.
Mit dem geplanten 7. Provinzkongress 2025–2030, den digitalen Initiativen und der Förderung junger Kreativer hat Hà Giang beste Voraussetzungen, seine kulturelle Stärke weiter auszubauen. Die Konferenz endete mit einem gemeinsamen Appell an Politik, Zivilgesellschaft und Bildungsinstitutionen, den Kultursektor nicht nur zu bewahren, sondern aktiv zu gestalten.
„Wenn wir über Kunst sprechen, sprechen wir über die Seele unserer Gesellschaft. Und wer ihre Sprache nicht kennt, kann ihre Zukunft nicht formen.“

Jens Müller ist ein Hobby Historiker und engagierter Forscher, der sich auf Kulturgeschichte spezialisiert hat. Mit einem scharfen Blick für historische Zusammenhänge und gesellschaftliche Entwicklungen publiziert er regelmäßig fundierte Artikel. Als Redakteur schreibt er für das Online-Magazin Stefanjacob.de.